Stille Raunächte

Die Raunächte haben begonnen und ich träume nicht. Das war noch nie so. Von Kindheit an bin ich eine begnadete Träumerin, kann mittlerweile komplett wach während der Traumphasen sein, auch im Tiefschlaf. Träumen ist für mich eines meiner schamanischen Tools. Während ich träume, kann ich heilsam das Schicksal gestalten. Auch ist es mir möglich vor dem Schlafengehen bewusst ein Thema, oder einer erlebte Situation zu träumen, damit sich darin die Wahrheiten offenbaren, die mir im Wachbewusstsein nicht zugänglich sind.
Ich sitze hier schon einige Zeit in Stille, beobachte wie der Lärm der Welt sich in Spiralen zusammenzieht und sich komplett auflöst. Alles geht zurück auf 0, zurück in seinen Ursprung, in die ewige Harmonie. Was bleibt ist Wärme die sich in mir ausbreitet, während mein Herz seine Grenzen bricht, indem es sich ins Unendliche ausdehnt. Meine Wahrnehmung wandelt sich. Ich erlebe auf meine Weise: „Stille nacht, heilige Nacht“.

Die Stille: Das Tor zur Wahrheit

In der Tiefe der Stille offenbart sich eine Dimension, die jenseits von Worten und Gedanken liegt. In der spirituellen Philosophie, insbesondere im Advaita Vedanta, wird die Stille als essenzielles Tor zur Erkenntnis des Selbst und zur Einswerdung mit dem Absoluten betrachtet. Doch diese Stille ist nicht einfach die Abwesenheit von Geräuschen. Es ist eine innere Stille, ein Zustand, in dem das rastlose Geplapper des Geistes verstummt und das wahre Sein sich selbst erkennt.

Die Bedeutung der Stille im Advaita Vedanta

Im Advaita Vedanta, der Philosophie der Nicht-Dualität, wird oft betont, dass die Wahrheit nicht in Worten ausgedrückt werden kann. Der vedantische Lehrer Ramana Maharshi sagte:

“Stille ist die lauteste Sprache. Sie ist die Sprache Gottes.”

Diese Stille ist nicht etwas, das geschaffen werden muss; sie ist immer da. Sie wird offenbar, wenn der Geist zur Ruhe kommt und die Illusion des getrennten Selbst überwunden wird.

Shankara, der große Advaita-Philosoph, erinnert uns daran, dass die höchste Wahrheit (Brahman) unbeschreiblich ist:

“Brahman ist jenseits von Sprache und Geist. Es kann nur in der Stille erfahren werden.”

Die Stille ist daher nicht nur ein Mittel, sondern auch das Ziel – der Zustand, in dem das Ich-Bewusstsein im universellen Bewusstsein aufgeht.

Stille in anderen spirituellen Traditionen

Die transformative Kraft der Stille wird auch in anderen Weisheitstraditionen hervorgehoben. Im Christentum finden wir in der Bibel die Worte:

“Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin.” (Psalm 46,10)

Hier wird die Stille als Voraussetzung für die Gotteserkenntnis beschrieben. Im Schweigen öffnet sich der Mensch für das Göttliche, das in allem gegenwärtig ist.

Im Zen-Buddhismus ist die Praxis des Zazen (Sitzmeditation) ein direkter Weg, um die Stille des Geistes zu erfahren. Der Zen-Meister Dogen sagte:

“Die wahre Stille ist nicht die Abwesenheit von Geräuschen, sondern die Freiheit von Gedanken.”

Zen lehrt, dass in der absoluten Stille der gegenwärtige Moment vollständig erfahren wird – frei von Urteilen, Konzepten und Dualitäten.

Auch im Sufismus, der mystischen Tradition des Islam, wird die Stille gepriesen. Der Sufi-Dichter Rumi schreibt:

“Die Stille ist die Sprache Gottes, alles andere ist eine schlechte Übersetzung.”

Für Sufis ist die Stille ein Weg, das Herz zu reinigen und sich mit der göttlichen Liebe zu verbinden.

Stille als Weg und Ziel

Stille ist mehr als eine Technik oder Praxis – sie ist ein Seinszustand. Sie erfordert keinen äußeren Rückzug, sondern einen inneren. Selbst inmitten von Lärm kann die innere Stille erfahren werden. Diese Stille offenbart uns, dass wir nicht unsere Gedanken, Gefühle oder Körper sind, sondern das reine Bewusstsein, das alles durchdringt.

Der indische Weise Nisargadatta Maharaj fasst es treffend zusammen:

“In der Stille erkennst du, dass du schon alles bist, wonach du suchst.”

Wege zur inneren Stille

1. Meditation: Ob durch Atembeobachtung, Mantra-Rezitation oder stille Kontemplation – Meditation führt den Geist zur Ruhe.

2. Achtsamkeit: Das bewusste Verweilen im gegenwärtigen Moment ohne Bewertung bringt den Geist in Kontakt mit der Stille.

3. Selbstergründung (Self-Inquiry): Die Frage „Wer bin ich?“ lenkt die Aufmerksamkeit weg von äußeren Erscheinungen hin zur Quelle des Bewusstseins.

4. Naturerfahrungen: In der Stille der Natur können wir eine Ahnung von der Allgegenwart des Göttlichen bekommen.

Stille ist kein Zustand, der erreicht werden muss, sondern unser ursprüngliches Wesen. Sie ist die Quelle aller Weisheit, aller Liebe und allen Friedens. In der Stille finden wir nicht nur uns selbst, sondern das Eine, das sich durch alles ausdrückt. Wenn wir uns der Stille öffnen, erkennen wir, dass es keine Trennung gibt – nur das unendliche, stille Jetzt.

Wie Laozi im Tao Te King sagte:

“Stille ist die Quelle der Kraft.”

Möge diese Quelle uns alle nähren.

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