Rune Nautiz

Die Rune Nautiz – Das Wenden der Not in der Tradition der weisen Frauen
1. Einleitung: Das Lied der Not
In alten Tagen, als sich Himmel und Erde noch innig berührten, sangen die weisen Frauen Lieder über das Wenden der Not. Sie lehrten, dass jede existenzielle Bedrängnis – sei es Hunger, Krankheit, seelische Finsternis oder der Mangel an Mut – in Wahrheit ein Ruf der Seele ist, sich neu auszurichten. Im germanischen Runenkreis trägt diese heilsame Kraft den Namen Nautiz (auch „Nauthiz“ genannt), das Zeichen der Not und der notwendigen Veränderung. Dieser Blogbeitrag richtet sich an all jene, die Harmonie zurückgewinnen möchten, indem sie die Kraft dieser uralten Rune begreifen und annehmen.
2. Mythologische Wurzeln und Symbolkraft
Die Rune Nautiz erscheint als fünfte Rune im Älteren Futhark und ist bildlich dargestellt als ein schräg gestelltes „X“, bei dem beide Prachtarme steil zusammenlaufen. In ihrer Grundbedeutung steht sie für Mangel, Bedürfnis, Zwang und zugleich den Aufruf zur Veränderung.
- Nahrungsknappheit: In einer Zeit, in der Hunger menschliches Leben jederzeit bedrohte, war Nautiz das Symbol für das kollektive Bewusstsein, das vor der harten Realität warnte: Wenn du in Not bist, wirst du kreativ, achtsam, erfinderisch.
- Seelische Not: Auch in innerer Verzweiflung zeigt Nautiz ihren zarten Finger, um uns daran zu erinnern, dass Not nicht nur Leid bedeutet, sondern der Schleier, hinter dem Wende und Wachstum verborgen liegen.
- Schicksalszwang: Die germanischen Sagen sprechen von Schicksalsfäden, die manchmal hart gesponnen sind. Nautiz war das Zeichen, das anzeigte: „Jetzt ist deine Haltung gefragt. Bist du bereit, den Zwang in eine Chance zu verwandeln?“
Die weisen Frauen hoben hervor, dass Nautiz nie allein negativ ist. In ihrem Verständnis war Not stets auch die Pforte zur Neuentfaltung. Wer die Rune achtet, erkennt im Härtefall das Geburtswehen einer neuen Selbstwerdung.
3. Die Symbolik von Nautiz im Ritual der weisen Frauen
Im Ritualraum der weisen Frauen bildet Nautiz einen kraftvollen Mittelpunkt. Dort, wo Dunkelheit herrscht, zündet man Kerzen, die auf Runensteinen ruhen. Die weiblichen Hüterinnen der Runen lehrten, dass Nautiz in der Mitte des Runenkreises platziert wird, während die umliegenden Runen als Hüter und Wegweiser fungieren.
- Kerze für die Not: Eine rote oder schwarze Kerze wird vor Nautiz entzündet. Mit dunklem Wachs und roter Flamme wird symbolisiert: „Ich nehme die Not an, doch ich gebe mich nicht kampflos hin.“
- Salbe aus Beifuß und Wacholder: Die weisen Frauen mischen geweihten Beifuß mit Wacholderöl und salben sich dabei die Stirn, um Klarheit zu erlangen, während die Rune Nautiz leuchtend vor den Augen steht.
- Gesang des Wandels: In tiefer Meditation summt die Schamanin ein uraltes Lied, dessen Melodie auf- und absteigende Töne hat – ganz wie die Kurven der Nautiz. Dieser Gesang soll die Energie der Not aufnehmen und in die Sehnsucht nach Freiheit und Heilung lenken.
Während das Ritual andauert, halten sich die Teilnehmenden aneinander fest: Hände werden geflochten, Blicke treffen sich, und auf den Lippen liegt das stumme Mantra: „Aus Not erwächst neuer Mut, aus Zwang neue Freiheit.“
4. Praktisches Wirken mit der Rune Nautiz im Alltag
4.1. Tägliche Meditation mit Nautiz
- Aufmalen und Betrachten: Zeichne die Rune auf ein Papier oder auf eine flache Schieferplatte. Lege sie vor dich hin, setze dich ruhig und atme drei Minuten lang bewusst in dein Herz. Betrachte dabei die Linienführung von Nautiz: die beiden Schenkel, die ineinander zulaufen. Stelle dir vor, wie sich aus der Engstelle plötzlich ein Lichtstrahl löst, der dich durchflutet.
- Stimmritual: Beim Ausatmen lässt du ein leises „Na-a“ ertönen, beim Einatmen ein geflüstertes „U-tiz“. Die Vokalfolge löst innere Blockaden und verkörpert das Aufbrechen der Not.
4.2. Runenamulette für Zeiten der Zwinge
- Materialwahl: Ein kleines Stück Holz (z. B. von Eiche oder Birke), das längs aufgespalten wurde, bietet sich an. Die Eichenrinde gilt als starken Schutz gegen Bedrängnis, die Birkenrinde als Symbol für Neubeginn.
- Ritzen und Weihen: Mit einem scharfen Messer ritzt du die Rune sorgfältig ein. Unter der Mitternachtsvollmondin halten die weisen Frauen das Amulett in die Flamme einer Kerze, um es vom Rauch heiligen Salbeis zu reinigen. Hierbei sprechen sie:
„Nautiz, Rune der Not, wandle Zwang in Befreiung, Dunkel in Licht, Klage in Gesang.“ - Tragen und Vertrauen: Wähle eine Kordel aus Hanf oder Leder und führe sie durch ein kleines Loch im Holz. Trage das Amulett am Körper oder lege es am Kopfende deines Betts ab, um in Nächten der Unruhe Schutz zu spenden.
4.3. Die Not als Lehrmeisterin erkennen
- Tagebuch der Engstelle: Nimm dir vor, in Momenten, in denen du dich gehemmt, blockiert oder eingezwängt fühlst, ein kleines Notizbuch zur Hand. Skizziere grob das Nautiz-Zeichen auf die erste Seite. Unter jedem Eintrag notiere:
- Was zwingt mich gerade?
- Welche Möglichkeit des Wachstums könnte darin stecken?
- Welchen ersten kleinen Schritt kann ich nehmen, um mich nicht zu verlieren?
- Abendlicher Abschiedsruf: Bevor du am Abend einschläfst, schreibe für einen Moment direkt unter das Nautiz-Zeichen:
„Ich danke dir, Lehrmeisterin Not. Ich weiche nicht zurück, sondern lerne deinen Wert.“
Wiederhole dieses Bekenntnis solange, bis die Angst vor Dürre, Krankheit oder innerer Leere sich in respektvolle Neugier verwandelt.
5. Geschichten aus dem Kreis der Weisen Frauen
5.1. Die Weberin und ihr kaputtes Rad
Es war eine Zeit großer Hungersnot im Norden. Die Webstube der alten Elfhild war kaum besucht; ihre Hände, sonst flink an der Spindel, erlahmten. Ein Nagut (Not) stieg in ihr auf, als das Spinnrad bei einem Unfall in Stücke zersprang. Verzweifelt blickte sie auf die kaputten Speichen. Am Abend rief sie die anderen Weisen Frauen zusammen. Unter der Runenlichtung im Mondschein wurde Nautiz in den Boden geritzt, und im Flüsterton sangen sie:
„Nautiz, führe uns aus der Schwermut, aus der Schwere in das Leichte, aus der Stagnation in den Fluss.“
Am nächsten Morgen öffnete Elfhild ihr Fenster und stellte erstaunt fest, dass ein Ast der Nachbareiche wie durch ein Wunder genau zwischen die zerbrochenen Speichen fiel und die Fragmente zu einem neuen Rad zusammenfügte. Dies war die erste Lektion: Aus Not kann unerwartete Hilfe erwachsen, wenn man auf die Sprache der Natur statt auf den stumpfen Blick auf die Zerstörung lauscht.
5.2. Die Wanderin, die ihr Ziel nicht sah
Maruna, eine junge Heilerin, war auf Pilgerreise, doch ihre Füße schmerzten, und ein unvorhergesehener Wintereinbruch zwang sie, in einer verlassenen Waldhütte zu verweilen. Die Vorräte gingen zur Neige. Die Not stieg wie ein kalter Nebel um sie. Eines Abends zeichnete sie Nautiz in den Holzboden und richtete ihr Gebet:
„Nautiz, bewahre mich vor Verzweiflung, lehre mich Stärke.“
Am Morgen entdeckte sie am Rand der Hütte ein kleines Loch in der Wand, durch das Licht fiel. Dahinter kroch ein verletztes Rehkitz herein, das schutzsuchend zitterte. Maruna pflegte das Tier gesund, und in seiner Nähe fand sie neue Nahrung – Beeren, Pilze und Heilkräuter, die sie bisher nicht gesehen hatte. Indem sie die Rune Nautiz anrief, öffnete sich ihr Blick für verborgene Wege, und sie hatte etwas gerettet – ihr Herz und das Leben eines kleinen Geschöpfes.
6. Integration: Die Rune als ständiger Begleiter
6.1. Runensteine im Hausaltar
Gestalte einen kleinen Altar in deinem Zuhause:
- Runenstein mit Nautiz: Male oder ritze die Rune auf einen flachen Stein. Platziere ihn in der Mitte deines Altars, um ihn täglich zu berühren oder zu betrachten.
- Naturgaben: Lege getrocknete Kräuter (z. B. Beifuß, Johanniskraut), kleine Muscheln, Federn oder dunkle Hölzer um den Stein, um das Thema Not und Wende facettenreich zu symbolisieren.
Jeden Morgen oder jeden Abend sprich ein kurzes Dankgebet:
„Nautiz, helfe mir, Not als Lehrerin zu ehren. Wandle meine Furcht in Mut und meine Enge in Weite.“
6.2. Jahreskreis und Zeiten der Knappheit
Die Weisen Frauen beobachteten den Jahreslauf: Am Ende des Winters, wenn die Vorräte schwanden und die Kälte am härtesten war, traten sie zusammen, verrichteten ein Nautiz-Ritual und boten Dank für den kommenden Frühling. Auch in persönlichen Leben enden oft Zyklen, in denen alles ins Stocken gerät. Plane für solche Phasen:
- Fastenritual: Eine kurze, sanfte Fastenzeit (z. B. 24 Stunden ohne feste Nahrung, nur Kräutertees und Wasser), begleitet von der Rune Nautiz, klärt Körper und Geist und macht bereit für neue Impulse.
- Schreibexerzitium: Führe an drei aufeinanderfolgenden Abenden ein Nautiz-Tagebuch, in dem du deine größte Sehnsucht formulierst und zugleich die Hindernisse. Mit jedem Eintrag erkennst du, dass die Not bloß der Schatten ist, in dem dein eigenes Licht klarer strahlt.
7. Schlusswort: Aus der Enge ins Licht
Nautiz ist keine Rune des bloßen Leids, sondern des Erkennens, des Wachstums und des Wendens. Die weisen Frauen überlieferten, dass jede Not, sei sie materiell, körperlich oder seelisch, uns zum Lehrer wird, sobald wir den Blick von der Beschwerung lösen und sehen, dass in jedem Zwang eine Einladung lauert: die Einladung, tiefer in uns hineinzuschauen, die Flamme des Vertrauens anzufachen und schließlich als weisere und kräftigere Genährt aufzuerstehen.
Möge die Rune Nautiz auch dein Herz lehren, in Zeiten des Mangels die verborgene Fülle zu erspüren und die Not nicht als Ende, sondern als Pforte zur Transformation zu begreifen. Bei jedem Zeichnen, Singen und Meditieren mit Nautiz öffnet sich ein neuer Raum: der Raum, in dem die Enge der Not weicht und Platz macht für den nährenden Atem des Lichts.
In Verbundenheit mit den weisen Frauen, die uns diesen alten Pfad schenkten. Möge dein Inneres stets an des Lebens heilender Wende teilhaben.